Kant als Befürworter der Todesstrafe
von janstraube
Immanuel Kant. Einer von den berühmtesten Philosophen, und in Deutschland der vermutlich meistrezipierte. Sein Hauptwerk, die Kritik der reinen Vernunft, stellte die Philosophie seiner Zeit auf den Kopf. Doch nicht nur in der theoretischen Philosophie, sondern auch im Bereich des Praktischen hat Kant große Wirkung ausgeübt. Es geht hier um die Ethik, die Frage nach dem guten Handeln – und trotz der hohen Anerkennung, und überhaupt erst theoretischen Grundlegung des Personenstatus, des Menschen als freien Wesens, hat Kant die Todesstrafe befürwortet. Ja, Kant war ein Vertreter der Auffassung, dass gewisse Straftaten mit dem Tod des Täters zu bestrafen sind – aus Wiedervergeltung.
Kant bezieht sich explizit auf Cesare de Beccaria, der zu Kants Lebzeiten gegen die Todesstrafe argumentiert hat. Und Kant wirft ihm vor, falsch zu argumentieren. “Alles Sophisterei und Rechtsverdrehung”, so Kant. Doch wie argumentiert Beccaria?
Beccaria argumentiert über zwei Themenbereiche: einerseits über die abschreckende Wirkung der Todesstrafe, andererseits über die Gerechtigkeit im Sinne eines Gesellschaftsvertrages. Ein Argument in Bezug auf die abschreckende Wirkung, die die Todesstrafe laut Verfechtern dieser haben soll, geht in etwa so:
Wenn die Todesstrafe eine abschreckende Wirkung haben soll, dann muss sie häufig und nahe aufeinander folgend vollstreckt werden, denn kurze und heftige Ereignisse – wie die öffentliche Tötung eines Verbrechers – haben eine schwache Wirkung auf das menschliche Gemüt, da sie keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Also: Die Bevölkerung soll ja von der Todesstrafe abgeschreckt werden und keine Verbrechen begehen, aus Angst vor der Todesstrafe. Damit das aber funktioniert müsse, so Beccaria, sehr oft die Todesstrafe vollstreckt werden, damit sie im Bewusstsein der Bevölkerung bleibt. Also müssten im Umkehrschluss häufig Verbrechen begangen werden, die mit der Todesstrafe bestraft werden. Aber das kann doch nicht der Wunsch des Gesetzgebers sein! Demnach kann von einer abschreckenden Wirkung der Todesstrafe keine sinnvolle Rede sein.
Eine andere Argumentation Beccarias geht über den Gesellschaftsvertrag. Der Gesellschaftsvertrag ist eine der liebsten Beschäftigungen von politischen Philosophen, und ist letztlich nicht mehr als ein Gedankenexperiment. Der Tenor aller Gesellschaftsvertragstheorien besteht in einer Übereinkunft der Bürger über die Gesetze, nach denen das gesellschaftliche Leben geregelt werden soll. Nach Beccaria müsste in einem solchen theoretischen Gesellschaftsvertrag jedes Gesetz auf den abgetretenen Rechten der Bürger beruhen. Wenn also die Todesstrafe auf diesem Hintergrund gerecht sein soll, dann müsste der einzelne Bürger zuallererst ein Recht haben, zu töten – und zwar sich selbst. Vielleicht denken wir heute anders darüber, vielleicht auch nicht, fest steht jedoch: für Beccaria konnte der einzelne Bürger kein Recht haben, sich selbst zu töten. Also könnte er dieses Recht auch nicht auf einen Anderen übertragen. Demnach kann der Staat keine Tötung gesetzlich verordnen. Die Todesstrafe ist staatstheoretisch nicht zu halten.
Was entgegnet nun Kant? Zunächst einmal kann für Kant eine Strafe keinen anderen Zweck haben, als dass dem Straftäter ein Schmerz zugefügt wird. Die abschreckende Wirkung, die Beccaria der Todesstrafe abspricht, ist für Kant überhaupt nicht relevant, da sie in seinen Augen ein sekundäres Ziel ist. Und das kann mit einer Strafe nicht bezweckt werden: es darf nur darum gehen, den Täter zu bestrafen, alles andere ist nicht zulässig.
Doch auch zum Gesellschaftsvertrag äußert sich Kant, hier greift er Beccaria direkt an. So könne Strafe nach Kant nicht auf dem Gesellschaftsvertrag beruhen, denn ein Täter, der im Gesellschaftsvertrag versprochen hat, sich bei Begehen einer Straftat strafen zu lassen, wäre – rein theoretisch – sein eigener Richter. Denn, wenn alle Bürger einen Konsensbilden, dann sind auch die Straftäter mit eingeschlossen, und haben auch ein Wort mitzureden. Und es liegt auf der Hand, dass diese Personengruppe sich eher für milde Strafen aussprechen würde – sie würden ihr eigenes Strafmaß bemessen. Das kann nach Kant nicht rechtens sein, denn durch Strafe wird ein Täter zu etwas gezwungen, das er nicht will.
Doch Kant differenziert den Menschen in den – das habt ihr vielleicht schon gehört – “Bürger zweier Welten”. Als Teilnehmender im Gedankenexperiment Gesellschaftsvertrag ist der Mensch “homo noumenon” also rein vernünftig und dadurch gesetzgebende Kraft. Als Verbrecher jedoch ist der Mensch “homo phaenomenon”, quasi der sittlich verdorbene Teil – der Teil des Menschen, der eines Verbrechens fähig ist. Da nun der Mensch in diese zwei Personen eingeteilt wird, könne der Verbrecher eben doch kein Wort bei der Gesetzgebung, und folglich auch nicht bei der Beurteilung seiner Straftat, haben. Die Person, die Rechte abtritt, ist Bürger einer anderen Welt als die Person, die eine Straftat begeht.
Doch trifft das Beccarias Argumentation zum Gesellschaftsvertrag überhaupt? Beccaria spricht nicht davon, dass der Mensch zum Zeitpunkt der theoretischen Gesetzgebung auch bei einer später eventuell begangenen Straftat einwilligen muss, sich strafen zu lassen, und überhaupt ist doch in diesem Gedankenexperiment die Gesetzgebung vor jeglicher begangener Straftat überhaupt anzusiedeln. Was Kant mit seinem Bürger zweier Welten veranstaltet trifft meiner Meinung nach nicht Beccarias Argumentation, entkräftet sie somit auch nicht.
Wie bereits erwähnt, Kant ist Befürworter der Todesstrafe gewesen – doch auf welchem Hintergrund? Hier wird es reichlich abenteuerlich. Denn Kant sagt zwar, dass das “ius talionis”, in etwa das Wiedervergeltungsrecht, Grundlage von Strafe überhaupt sein solle. Doch er gibt keinen einzigen Grund für dieses Prinzip an. Und weiter, er bringt auch kein Argument pro Todesstrafe hervor. Kant ist halt einfach dafür – warum, das kann er nicht sagen, und ich Euch auch nicht.
— Dies ist die Wiedergabe einer Studienarbeit, die ich zur Erlangung des Bachelorgrades abgegeben habe. Ihr findet die ganze Arbeit hier: Studienarbeit Kant Beccaria – Jan Straube —
Kant sagt es doch selbst.
Die Straftäter müssen als Zweck an sich betrachtet werden und nicht als Mittel (in diesem Fall als Mittel der Abschreckung). Geschieht dies nicht, so wird der Straftäter nicht als Person geachtet und die Strafe könnte unverhältnismässig ausfallen, lediglich um ihren Zweck zu erfüllen – ist das dann der Person gerecht, sie zu missbrauchen?
Die Todesstrafe ist also nach Kant nicht nach ihrer Wirkung, sondern wegen ihrer Selbstzweck (wie alles) in entsprechenden Fällen zu vollziehen.
Aber geht das zusammen: eine Person als Zweck an sich betrachten und sie zum Tode verurteilen? Ich sehe da nach wie vor einen Widerspruch, der sich auf den letzten Seiten der unter dem Artikel verlinkten pdf-Datei ausführlicher ausgedrückt findet.
Sorrey, aber Kant lehnt jegliches Mittel um Zweck ab.
KI nicht verstanden!
Setzen, 6. 😦
Die Todesstrafe soll also nicht als Mittel vollzogen werden um Abschreckung zu erzielen.
Nur weil Kant Todesstrafe als Mittel zum Zweck ablehnt, heißt dies jedoch nicht, dass er sie als Strafe, also Zweck akzeptieren will.
Dass Tötung als Strafe den Zweck der Strafe erfüllt wage ich zu bezweifeln.
Mir ist auch kein Satz aus Kants Schriften bekannt in der er dies postuliert.
Zweck von Strafe war für Kant auch Strafe und nicht die Herbeiführung des Todes durch eine Strafe, denn dann wäre ja die Strafe wieder Mittel zum Zweck den Kriminellen zu töten und halt nicht ihn zu bestrafen.
Der SELBSTZWECK von Strafe ist Strafe und NICHT töten.
Widerspricht Kant sich dann nicht selbst, wenn er die Todesstrafe befürwortet? Nach dem kategorischen Imperativ ist die Todesstrafe doch niemals wünschenswert, oder? Außerdem widerspricht es Kants Phlichtbegriff in Bezug auf die Selbsterhaltung. Außerdem macht man sich selbst, z.B. als Vollstrecker der Todesstrafe, selbst zum Mörder und müsste gleichermaßen sanktioniert werden. Schöner Beitrag zur Auslöschung der Weltbevölkerung 😀
Kann das alles wirklich im Sinne Kants gewesen sein? Kant ist zwar bekanntermaßen radikal, aber doch so sehr? Ich bitte um Aufklärung!
Ich sehe da auch Widersprüche. Wie ich in meiner Arbeit zu zeigen versuchte befürwortet er die Todesstrafe, aber gibt keine Begründung, kein Argument dafür. Jedenfalls habe ich keins gefunden. Es scheint mir einfach eine dogmatische Forderung, die Todesstrafe als höchste Strafe beizubehalten. Nicht nur nach dem kategorischen Imperativ, auch nach seiner Definition des Menschen als vernunftfähigen und damit in jeder Person zu achtenden Wesens steckt meiner Ansicht nach ein Verbot der Todesstrafe. Aber Kant ist dafür. Ja, Widerspruch. Gibts bei auch bei Kant, und das ist nicht der einzige.
Das Thema beschäftigt mich auch immer mal wieder … Aktueller Anlass ist die Todesstrafen-Diskussion in Amerika wegen des angeblich qualvollen Todes eines Mörders durch eine neue Giftmischung.
Widerspricht sich Kant? Die Frage habe ich mir auch schon mal bei Kants Einstellung zur Lüge gestellt, die er ja sogar dann verwirft, wenn er damit ein Leben retten könnte.
1) Ist die Todesstrafe laut KI wünschenswert?
Was laut KI sicher verboten ist, sind Mord und Totschlag, da diese das sittliche Gesetz nicht achten und aus niederen Motiven folgen.
Die Todesstrafe – im Sinne Kants – unterscheidet sich davon schon, weil ihr Hauptmotiv die Aufrechterhaltung eben dieser Ordnung ist. Also der Zweck des Mordes durch den Staat ist die Aufrechterhaltung dieses Staates (als Reich von Vernünftigen).
2) Pflicht zur Selbsterhaltung: Diese Selbsterhaltung muss aber im Einklang mit der sittlichen Gemeinschaft erfolgen, weil sie sich sonst selbst untergraben würde. Ich darf mein Selbst nicht über das der anderen stellen. Der KI erfordert, dass wir unser aller Freiheit aufeinander beziehen.
3) Vollstrecker der Todesstrafe: ist in „geordneten“ Verhältnissen ja nicht ein Individuum mit möglicherweise niederen Motiven, sondern Vertreter eben jener sittlichen Ordnung mit dem Auftrag, die Ordnung aufrechtzuerhalten.
Ich will jedenfalls darauf hinaus, dass im Sinne Kants ein Mord durch ein Individuum nicht dasselbe ist wie ein Mord durch den Staat, sofern seine Rechtsquelle der KI ist.
Was Kants persönliche Meinung zum Thema betrifft, bin ich unentschlossen. Für mich folgt aus seinen Argumenten nicht, dass es die Todesstrafe unbedingt geben muss. In den meisten Fällen wird wohl eine lebenslange Freiheitsstrafe nicht in Widerspruch zur „sittlichen Ordnung“ geraten.
Was haltet ihr von dem Gedankenexperiment, dass jemand eindeutig des Mordes überführt wurde, geständig ist und darauf schwört, alles zu tun, die Menschen und die Gesellschaft weiterhin zu vernichten?
Hi Peter.
Kant schreibt in seinem KI von SOLLEN, nicht von MÜSSEN. KI ist kein Gesetz, sondern eine Definition für moralische/unmoralische Handlungsweise.
Jeder Mensch KANN auch unmoralisch entscheiden.
Er KANN sich jedoch dabei zumindest bewußt sein, dass sein Handeln unmoralisch ist weil er es ja entscheiden KANN wie er handelt.!
Kant wußte, dass die Menschheit nicht perfekt, und daher Menschen AUCH unmoralisch handeln KÖNNEN.
Er sagt jedoch aus, dass dies dann eine bewußte – freie Entscheidung dieses Menschen ist. Also eine BEWUSSTE Entscheidung für das Böse, denn jeder Mensch hat ja die freie Wahl ob er moralisch handelt oder halt nicht!
Der KI ist letztlich ein Beweis Kants, dass jeder Mensch frei wählen KANN wie er handeln möchte.
Das Böse also nicht irgend eine metaphysische Größe ist gegen die er sich nicht wehren kann, nur weil es das Böse nun einmal gibt.
Dem Menschen ist es grundsätzlich eigen Gut UND Böse handeln zu können. Wobei ihm sowohl gutes als auch böses Handeln ggf. persönliche Vorteile bringen KANN.
Jedoch MUSS er weder gut noch böse handeln, er KANN es jedoch jederzeit FREI entscheiden.
Dieser Beweis, dass jeder gesunde Mensch frei entscheiden KANN, wurde daher wohl auch als Grundlage unseres heutigen Rechtssysteme verwendet, das nur Taten unter Strafe stellt die bewußt begangen werden. Wo also eine „Entscheidung“ vorliegt böse (unmoralisch) handeln zu WOLLEN. Menschen die geistig jedoch nicht in der Lage sind FREI zu entscheiden nicht bestraft werden sollen, bzw. können. (Kinder und geistig Behinderte oder geistig kranke Menschen.)
Ich halte übrigens wie Kant absolut NICHTS davon Menschen zu vernichten.
Ich wäre da an deiner Stelle auch sehr vorsichtig, denn mit deinem Gedankenexperiment würdest du ja genau diese von Kant beschriebene Ordnung gefährden. 😉
Indem du die Vernichtung von Leben forderst, stellst du die moralische Ordnung in Frage Leben zu erhalten.
Dann müßtest du, nach KI, ja für dich das fordern was du für den von dir beschriebenen Mörder und Ordnungsstörer AUCH forderst. 😉
Der KI KANN übrigens keine Rechtsquelle sein, denn Recht ist Mittel zu Zweck!! KI aber ist ja die Aufforderung nichts als Mittel zu nutzen sondern immer nur zum Zweck.
Z.B. Haare NUR schneiden des Haareschneidens Willen und NICHT um dann mit geschnittenen Haaren besser aussehen zu wollen. :-))))
Haare schneiden um danach geschnittene Haare zu haben ist moralisch nicht zu kritisieren.
Haare schneiden um danach von den Mitmenschen als ordentlicher Mensch wahr genommen zu werden und damit gesellschaftliche Anerkennung zu erhalten, ist dagegen nach KI unmoralisch!
KI ist eine Aufforderung vernünftig zu entscheiden und halt nicht emotional.
Leben zu vernichten das eine Ordnung stört, mag ja bei vielen Menschen positive Gefühle erzeugen, zumindest Vielen emotionale Ängste nehmen. Es ist aber halt nicht vernünftig und daher unmoralisch! 😉
Da sich der Mensch, nach derzeit noch vorherrschender Meinung von allen anderen Lebewesen, in der uns bekannten Welt, dadurch unterscheidet, dass er vernünftig denken und handeln KANN, SOLLTE er dies auch tun und nicht wie ein Tier seine Emotionen zur Grundlage von Entscheidungen heran ziehen.
An den Ersteller dieses Blogs
Bitte leses die Studienarbeit, die du selbst diesem Beitrag zu Grunde legst, erst einmal genau durch, bevor du hier Unsinn plapperst.
In der Studienarbeit selbs steht, dass Kant AUCH gegen die Todesstrafe ist jedoch aus anderen Gründen und mit nderen Argumenten als Beccarias.
Kant widersprcht den Argumenten Beccarias – nicht aber dessen Ablehnung der Todesstrafe.
Wer des Lesens mächtig ist, ist oftmals im Vorteil! 😉
Wer hat die Trolle freigelassen?
Jetzt mal ernsthaft: Ich weiß schon, was ich da geschrieben habe. Es geht um Widersprüche in Kants Argumenten bezüglich der Todesstrafe, die meiner Ansicht nach nicht so einfach zu lösen sind. Da hilft auch kein rumtrollen oder Schulnoten vergeben (wie in Deinem Kommentar oben, anton).
Ich sehe von Dir keine konstruktive Kritik sondern nur haltlose Aussagen. Darauf gehe ich nicht weiter ein.
Und den performativen Selbstwiderspruch solltest du auch merken, von wegen „Wer des Lesens mächtig ist…“ 😉
Hm, also Sie haben da wohl Geismann, Oberer und Ebbinghaus, um nur einige zu nennen, nicht gelesen. Davon abgesehen ist ihr Kernkritikpunkt, dass Sie einen Widerspruch zwischen dem Verhängen einer Todesstrafe und der Betrachtung einer Person als Zweck an sich selbst sehen. Darin liegt zunächst einmal überhaupt kein Widerspruch, da Menschen vor Gericht nie bloß als Mittel gesehen werden. Man könnte heranziehen, dass dem Staat nicht erlaubt sein kann, was dem Menschen verboten ist. Überzeugt mich aber auch nicht. Mir scheint der Knackpunkt im Vollzug der Todesstrafe zu liegen: Das individuelle Tötungsverbot müsste jeden davon abhalten als z.B. Henker zu agieren.
Hallo Jan,
könntest du mir sagen, welches Buch von Kant du genau benutzt hast. Irgendwie finde ich da gerade nichts.
Lg 🙂
Die Arbeit ist unten verlinkt und hat natürlich auch ein leider kurzes Literaturverzeichnis.